Gleichberechtigung der Frauen in der DDR – Mythos oder Wahrheit?
Vorweg: Es ist ein schwieriges Terrain, auf das sich Anna Kaminsky begeben hat, und eine Aufgabe, die immense Arbeit und aufwendige Recherchen erforderte. In ihrem Buch „Frauen in der DDR“ finden sich wichtige Blicke auf die Geschichte der Frauenrechte – von der Weimarer Republik bis heute – die besonders jüngeren Frauen wertvolle Informationen liefern. Dass die Aussagen des Buches Zustimmung und Widerspruch finden, liegt bei diesem Thema in der Natur der Sache. Schließlich geht es – neben historischen Fakten – nicht zuletzt um sehr persönliche Dinge und subjektives Erleben. Dazu tragen auch biografische Porträts und Beispiele aus der Literatur bei, die eine Fülle von Schlaglichtern auf die Vielfalt weiblicher Ansichten und Lebensentwürfe werfen.
Waren Frauen in der DDR nun gleichberechtigt oder nicht? Die Autorin meint – und damit befindet sie sich in Gesellschaft vieler anderer –, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sei in der DDR nur ein Mythos gewesen. In ihrem Buch sagt sie, „es sei damals nicht gelungen, die Gleichberechtigung zu vollenden.“ Etwas ratlos fragt sie in ihrem Vorwort: „Steht es um die heutige Frauenpolitik wirklich so schlecht, dass man sich nach der DDR zurücksehnt?“ Aber schon ein paar Zeilen weiter ist zu lesen: „Egal wie modern unser Leben und unsere Gesellschaft sind, Familien werden immer wieder vor ähnlichen Problemen stehen.“ Widersprüchlich, aber sehr wahr. Das ist eben der Unterschied zwischen Theorie und Praxis, Gesetzen und dem Leben.
Ein Blick zurück: Laut Verfassung der DDR, genaugenommen bereits seit 1946, besaßen Frauen dieselben Rechte wie die Männer. Ab 1947 galt, „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.“ Das erklärte Ziel, ein sozialistisches Frauenbild zu entwickeln, nutzte die SED-Parteipropaganda natürlich für ihre Interessen. Die Hoffnung, „mit der ökonomischen Befreiung der Frau und ihrer gleichberechtigten Integration in den Arbeitsprozess würde automatisch auch die soziale und individuelle Unabhängigkeit eintreten“ hat sich bisher nicht erfüllt. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es eine volle Gleichberechtigung nur geben kann, wenn die Frau erwerbstätig ist und eigenes Geld verdient. Von einfach war nie die Rede …
Das lag natürlich daran, dass – wie zu allen Zeiten – Männer auch in der DDR eher nicht bereit waren, Privilegien abzugeben und nur in seltenen Fällen freiwillig auf ihre Vorteile verzichtet haben. Wen wundert das. Sie kannten es von ihren Vätern ja nicht anders. Noch wenige Jahrzehnte zuvor, durfte eine Frau ohne Erlaubnis ihres Gatten so gut wie gar nichts entscheiden. Und in der Bundesrepublik war es sogar bis 1977 für eine Ehefrau unmöglich, ohne Zustimmung ihres Mannes berufstätig zu sein.
Wie aber lebten die Frauen in der DDR nun tatsächlich? Waren sie »siebenarmige Göttinnen«, die es offenbar spielend schafften, Berufstätigkeit, Mutterschaft und Emanzipation unter einen Hut zu bringen und bei alldem fröhlich durchs Leben zu gehen? Duckten sie sich als „graue Mäuschen“ in Kittelschürze beiseite? Oder waren sie doch eher „Rabenmütter“?
Die Frauen, die diese Zeiten selbst erlebt haben, werden trotz ähnlicher Umstände darauf sehr differenziert antworten. Die Mehrfachbelastung der „modernen Frau“ schien offiziell eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie die Erwartungen, eine gute Hausfrau, Partnerin und Mutter zu sein, sich um ihre Weiterbildung zu bemühen und obendrein möglichst noch gesellschaftlich tätig.
Ja, natürlich standen den Frauen viele Wege offen, „Gleichberechtigung“ und „Frauenförderung“ waren verbriefte Rechte, aber nehmen musste jede Frau sie sich schon meist selbst. Einfach war das Leben für eine berufstätige Mutter gewiss nicht, trotz Krippe, Kindergarten und Hort, zumal das Einkaufen bei dem typischen Mangel überall schon eine Herausforderung war. Vom unzureichenden Dienstleistungswesen ganz zu schweigen. Aber all diese Hürden konnte eine Familie bei guter Organisation – und einer normalen liebevollen Beziehung auf Augenhöhe – gleichberechtigt nehmen. Da möchte ich aus eigener Erfahrung entschieden widersprechen.
Wenn die Autorin nicht zu jung wäre, dies aus eigenem Erleben zu kennen, wäre ihr Urteil sicherlich weniger rigoros ausgefallen. Gleichberechtigung fällt nicht vom Himmel – nie und nirgends – und lässt sich weder durch Gesetze und schon gar nicht durch Parteibeschlüsse herstellen. Da sind die Frauen stets selbst gefragt, ihre Rechte freundlich aber entschieden einzufordern. Auch die Ostmänner liebten ihre Bequemlichkeit und es war schon eher die Ausnahme, wenn ein Mann widerspruchlos und freiwillig bereit war, etwas zu ändern und die Familien- und Hausarbeit paritätisch zu teilen. Gestern wie heute gibt es Gegensätze zwischen Wunsch und Realität, aber ohne eigenes Engagement geht es heute ebenfalls nicht. Da sind die Zahlen aus diversen Statistiken kein echter Beweis. Ebenso lässt sich die Realität der 50er Jahre mit den Entwicklungen der 60er, 70er oder späterer Jahre nicht in einem Atemzug bewerten. Das führt in die Irre und zu widersprüchlichen, gar falschen Rückschlüssen.
Es wäre wohl sehr naiv, in einfachen Kategorien von gut und schlecht zu denken. Frauenförderung, Unterstützung durch den monatlichen bezahlten Hausarbeitstag, Angebote für Frauensonderstudium und kürzere Arbeitszeiten für Mütter, das bezahlte „Babyjahr“ o.ä. sind nur einige Beispiele. Aber deshalb wünscht sich gewiss niemand die DDR zurück, um auf die Frage im Vorwort des Buches zurückzukommen. Die Gleichberechtigung der Frauen ist eine solch gravierende Änderung in allen Bereichen der Gesellschaft bis ins zutiefst private der Familie, und sie zu verwirklichen, haben die 40 DDR-Jahre längst nicht ausgereicht. Die DDR war kein Paradies, sonst gäbe es sie vermutlich noch. Wie wir sehen, gibt es bis heute noch viel zu tun, wenn eine Frau Familie und Beruf gelungen vereinbaren möchte. Aber – früher wie heute, unabhängig von Gesetzen etc. – muss jede Frau auch selbst aktiv werden und sich für ihre Rechte stark machen, statt sich mit unangebrachter falscher Bescheidenheit im Hintergrund zu halten. Dass Emanzipation ohnehin nur im Miteinander und nicht im Gegeneinander von Männern und Frauen möglich ist, sei hier nur nebenbei erwähnt.
Entschieden widersprechen möchte ich aber einigen Fehlern und Irrtümern in diesem Buch: So wurden Verkehrspolizisten wegen ihrer weißen Mützen generell – nicht nur die Frauen unter ihnen – ironisch „weiße Mäuse“genannt. Heiterer Beleg dafür ist u.a. der Film „Geliebte weiße Maus“ mit dem Komiker Rolf Herricht in der Hauptrolle. Die GST war bei Jugendlichen vor allem beliebt, weil hier Mopedschein oder Fahrerlaubnis – Motorrad, PKW bis LKW – für einen sehr geringen Obolus zu erwerben waren. Und die unterschiedlichsten Möglichkeiten für Sport gab es nicht nur hier, sondern vor allem in Schul- oder Betriebssportgemeinschaften. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ war im Alltag selbstverständlich, von Ausnahmen abgesehen. Die – bis heute typischen – geringbezahlten „Frauenberufe“ sind die Ursache dafür, dass Frauen damals durchschnittlich ein Drittel weniger verdienten. Aber in Schulen, Kindergärten oder anderswo erfolgte die Einstufung in die Gehaltsgruppen stets geschlechtsunabhängig nach Dienstalter.
Das paternalistische Konzept der SED galt beileibe nicht nur für Frauen, sondern durchdrang als grundsätzliches Problem die gesamte Politik, wie u.a. an der eingeschränkten Presse- und Reisefreiheit, wie überhaupt der generellen Bevormundung durch die Funktionäre sichtbar wurde.
Erfreulich ist, dass Anna Kaminsky anerkennt und bewundert, was die Generation der Mütter und Großmütter unter den schwierigen Alltags-Bedingungen der DDR bewältigt hat. „Ich konnte miterleben, wie Frauen ihren Alltag meisterten und wie sie – oft mit grandiosem Humor – die großen und kleinen Zumutungen des SED-Regimes bewältigten und sich vielfältige Nischen schufen. …“ In einem Interview ergänzte sie dazu: „Obwohl ich eine Vorstellung davon hatte und obwohl ich das ungefähr wusste, das war wirklich, dass ich manchmal dachte, boah, wie haben die das geschafft?“
Trotz einiger Widersprüche und Fehlinterpretationen ist dieses gut lesbare Buch – übrigens sehr akribisch mit einem perfekten umfangreichen Anhang versehen – interessant und lesenswert. Und eine gute Diskussionsgrundlage für streitbare Debatten und anregenden Erfahrungsaustausch – für ein Miteinander zwischen Männern und Frauen – und eine echte Gleichberechtigung der Geschlechter.
Hannelore Hoffmann
Autor: | Anna Kaminsky |
Titel: | Frauen in der DDR |
Herausgeber: | Christoph Links Verlag |
Preis: | 25 € |
ISBN: | 978-3-861539-7-80 |
Umfang: | 320 Seiten |